Homeoffice im Ausland: In welchem Land ist der Arbeitnehmer der Sozialversicherung unterworfen?
Wenn Arbeitnehmer, insbesondere Grenzgänger, im Homeoffice im Ausland arbeiten, stellt sich die Frage, in welchem Land sie der Sozialversicherung unterliegen. Grundsätzlich bestimmt die VO (EG) 883/04 für jeden Sachverhalt einer grenzüberschreitenden Erwerbstätigkeit, welcher Mitgliedstaat für die Durchführung der Sozialversicherung zuständig ist. So ist sichergestellt, dass innerhalb der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) immer nur ein Staat zuständig ist, somit auch nur in einem Staat Beiträge zur Sozialversicherung zu entrichten sind. Gerade weil für die Frage nach dem anwendbaren Sozialversicherungsrecht der physische, der tatsächliche Arbeitsort das entscheidende Kriterium ist, kann die Ausübung von Telearbeit von zu Hause aus zu einem Wechsel der Sozialversicherungspflicht führen, wenn vom Ausland aus die Telearbeit gemacht wird.
Während der Corona-Pandemie gab es innerhalb der EU und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) Sonderregelungen, um den sozialversicherungsrechtlichen Auswirkungen aufgrund von Grenzschließungen und des damit einhergehenden Tätigwerdens aus dem ausländischen Homeoffice Rechnung zu tragen. Mit Ablauf des 30.06.2023 sind diese pandemiebedingten, sozialversicherungsrechtlichen Sonderregelungen für Homeoffice von Grenzgängern endgültig außer Kraft getreten. Somit hätte grenzüberschreitendes Homeoffice seit dem 01.07.2023 grundsätzlich wieder zu einer Änderung des geltenden Sozialversicherungsstatuts führen müssen – jedenfalls dann, wenn ein wesentlicher Teil der beruflichen Tätigkeit im Homeoffice im EU-Ausland erledigt wird und keine anderen Regelungen zur Anwendung kommen. Da jedoch Homeoffice aus den Unternehmen nicht mehr wegzudenken ist, sind die EU-/ EWR-Mitgliedstaaten, insbesondere auch Deutschland, tätig geworden und haben eine neue gesamteuropäische Lösung entwickelt.
Multilateralen Rahmenübereinkommen innerhalb vieler EU-/ EWR-Mitgliedstaaten
Ab dem 01.07.2023 kann aufgrund eines multilateralen Rahmenübereinkommens zur Anwendung von Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004, der die so genannte Ausnahmevereinbarungen zwischen Mitgliedstaaten für die Anwendung des Sozialversicherungsstatuts regelt, bei einer gewöhnlichen grenzüberschreitenden Telearbeit auf Antrag festgelegt werden, dass entgegen dem Recht des Wohnsitzsitzstaates weiterhin das Sozialversicherungsstatut des Staates gilt, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat.
Aufgrund des multilateralen Rahmenübereinkommen zur Anwendung von Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 können Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten in Telearbeit nun mehr als vorher im Homeoffice arbeiten können, ohne dass sich dadurch die Sozialversicherungspflicht ändert. Vor Einführung der pandemiebedingten, sozialversicherungsrechtlichen Sonderregelungen für Homeoffice von Grenzgängern war das Sozialversicherungsrechts des Wohnsitzstaates anzuwenden, wenn der Arbeitnehmer im Wohnsitzstaat mehr als 24,99 % im Homeoffice gearbeitet hat. Durch das neue Rahmenübereinkommen wurde diese Grenze nunauf 49,99 % (ab 1. Juli 2023) erhöht. Mit einem Antrag auf eine Ausnahmevereinbarung kann damit auch bei einer Homeoffice-Tätigkeit von bis zu 49,99 % im Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers weiterhin das Sozialversicherungsrecht des Staates anwendbar bleiben, in dem sich der Unternehmenssitz des Arbeitgebers befindet.
Soll für einen Grenzgänger also beispielsweise trotz zwei Tage pro Woche Homeoffice bei einer fünf Tage Arbeitswoche das deutsche Sozialversicherungsrecht weitergelten, kann für Deutschland ein entsprechender Antrag für eine Ausnahmevereinbarung nach Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 gestellt werden. Bisher war dies nicht möglich, da er mit den 2 Tagen (= 40,00 %) die Grenze von 24,99 % überschritten hat. Nach der neuen Regelung bleibt er mit den 40,00 % nunmehr unterhalb der Grenze von 49,99 %.
Voraussetzungen für die Ausnahmevereinbarung
Voraussetzung für die Erteilung der Ausnahmevereinbarung ist, dass die entsprechende Vereinbarung im Interesse der beschäftigten Person ist, dass kein dritter Staat involviert ist und die Telearbeit im Wohnsitzstaat der beschäftigten Person zwischen 25 % und weniger als 50% der gesamten Beschäftigung ausmacht (bei weniger als 25 % bliebe es ohnehin bei dem Sozialversicherungsstatut des Staates, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat).
Die Beurteilung welchen Umfang die Telearbeit im Wohnsitzstaat ausmacht, soll anhand einer vorausschauenden Betrachtung erfolgen. Es ist darauf abzustellen, ob voraussichtlich in den kommenden 12 Kalendermonaten Arbeitsperioden in zwei Mitgliedsstaaten aufeinanderfolgen und hierbei die Homeoffice-Tätigkeit im Wohnsitzstaat der beschäftigten Person den zuvor beschriebenen Umfang aufweist.
Eine Ausnahmevereinbarung kann nicht beantragt werden, die im Wohnsitzstaat gewöhnlich eine andere Tätigkeit als die grenzüberschreitende Telearbeit ausgeübt wird. Auch ist eine Ausnahmevereinbarung nicht möglich, wenn die Tätigkeit außerhalb des Wohnsitzstaats oder des Ansässigkeitsstaates des Arbeitgeber (z.B. in einer Niederlassung in einem dritten Staat) ausgeübt wird. Zudem findet eine Ausnahmevereinbarung aufgrund des multilateralen Rahmenübereinkommens auch auf Personen keine Anwendung, die selbstständig sind und auf solche, die als Beamte oder Angestellte bei in Deutschland ansässigen öffentlichen Arbeitgebern beschäftigt sind.
Antrag auf Ausnahmevereinbarung
Ein Antrag auf eine Ausnahmevereinbarung gemäß Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 ist seit dem 01.07.2023 höchstens für die Dauer von drei Jahre – mit einer weiteren Verlängerung – möglich. Der Antrag ist in dem Staat zu stellen, dessen Sozialversicherungsrecht nach dem Rahmenübereinkommen gelten soll. Liegt der Arbeitgebersitz in Deutschland und soll unter den zuvor geschilderten Rahmenbedingungen deutsches Sozialversicherungsrecht zur Anwendung kommen, ist ein entsprechender Antrag vom Arbeitgeber an den GKV-Spitzenverband, Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung - Ausland (DVKA) elektronisch zu übermitteln.
Bei dem multilateralen Rahmenübereinkommen zur Anwendung von Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 handelt es sich um eine auf fünf Jahre befristete Regelung, die sich einmalig um weitere fünf Jahre automatisch verlängert.
Zu beachten ist, dass das multilaterale Rahmenübereinkommen ausschließlich des grenzüberschreitenden Sachverhalts bei Telearbeit für sozialversicherungsrechtliche Belange regelt. Steuerrechtliche Betrachtungen sind hiervon nicht umfasst und bedürfen stets einer gesonderten Prüfung.
66763 Dillingen